Ich kann nicht mehr
Lehnen Sie sich mal zurück und denken den Satz: „Ich kann nicht mehr!“
Was geht Ihnen da durch den Kopf? Was fühlen Sie da?
Fühlen Sie sich bei dieser Aussage gut? Motiviert? Stark? Oder fühlen Sie sich eher schlechter, schwächer, schüchtern oder ängstlich? Oder kommen vielleicht ganz andere Empfindungen in Ihnen hoch?
Ein Hilferuf
Eines ist sicher, „Ich kann nicht mehr!“ ist eine sehr deutliche Aussage. Sowohl in einem professionellen Kontext als auch im privaten Rahmen bedeutet die Aussage „Ich kann nicht mehr“, dass jemand nach Hilfe ruft und dringend Unterstützung braucht. In einer schnelllebigen Zeit wie heute, liegt die Vermutung nahe, dass derjenige, der diese Aussage trifft, mit seiner gesamten Situation überfordert ist. Ganz klar, es ist ein Satz, der deutlich zeigt, dass sich etwas verändern muss. Entweder die eigene Haltung zu den Dingen oder die Begebenheiten im Außen. Aber auf jeden Fall muss etwas passieren, damit man wieder „kann“. Wenn Ihnen als Coach jemand gegenüber sitzt, der sagt „Ich kann nicht mehr“, dann sitzt er garantiert nicht ohne Grund bei Ihnen und es besteht auf jeden Fall Handlungsbedarf. Wenn Sie, lieber Leser dieses Textes, aber gerade selber den Eindruck haben, dass Sie nicht mehr können, dann nehmen Sie bitte Unterstützung in Anspruch. Es gibt viele Coaches und auch Therapeuten, die Sie auf diesem Weg in ein „wieder können“ begleiten können.
Ist es Burnout wenn jemand sagt: „Ich kann nicht mehr“?
In den letzten Jahren ist der sogenannte Burnout immer populärer geworden und vielerorts eine gute Erklärung für diverse Formen von Erschöpfungszuständen. Das Burnout-Syndrom ist wissenschaftlich allerdings nicht als Krankheit anerkannt, sondern gilt im ICD-10 (das weltweit anerkannte Diagnoseklassifikationssystem der Medizin) als ein Problem der Lebensbewältigung. Es handelt sich um eine körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung aufgrund beruflicher oder anderweitiger Überlastung bei der Lebensbewältigung.
Die Aussage „Ich kann nicht mehr“ lässt durchaus die Vermutung zu, dass unter Umständen ein Burnout vorliegen könnte. Oder eventuell sogar eine Depression…? Aber was würde das bedeuten? Ist derjenige dann krank? Also mal abgesehen davon, dass „Ich kann nicht mehr“ ja auch schlicht bedeuten könnte, dass jemand nur für heute nicht mehr kann und vielleicht einfach mal müde ist…
Halt, nicht zu schnell! Wir als Coaches wollen und dürfen ja keine Diagnose erstellen. Zum Glück müssen wir das auch nicht. Außerdem wollen wir auch nicht bagatellisieren. Es ist stets eine Gratwanderung zwischen dem einen und anderen Extrem und gerade bei einer Aussage wie „Ich kann nicht mehr“ sollte sehr feinfühlig vorgegangen werden.
Was kann also der Satz „Ich kann nicht mehr!“ für einen Coach bedeuten?
Und was kann man tun, was ist der richtige Ansatz, wenn ein Klient diese Aussage macht?
Erste Maßnahmen bei Erschöpfung
Zuerst mal sollten natürlich viele Fragen gestellt werden. Wie kam es dazu? Wann fing das Gefühl nicht mehr zu können an? Wer weiß noch davon? Gibt es Menschen im Umfeld die einen unterstützen können? Wie ist der Schlaf?
Menschen die solch eine klare und deutliche Aussage machen, sollten viel Raum zur Verfügung gestellt bekommen, um sich zu äußern, einfach nur zu erzählen – sogar um zu jammern und zu weinen, sich zu bemitleiden und sich den ganzen Frust von der Seele reden zu können.
„Ich kann nicht mehr“ – wie genau diese Aussage zu verstehen ist, wird Ihnen niemand beantworten können, da es jeweils auf den Kontext und selbstverständlich auch auf den Menschen dahinter ankommt. Aber was ist die Konsequenz wenn Sie als Coach diese Aussage von einem Ihrer Klienten hören? Ruhe und Gelassenheit sind auf jeden Fall ein Schlüssel. Je mehr Ruhe und Gelassenheit Sie ausstrahlen, umso eher wird auch Ihr Klient wieder zur Ruhe finden und sich selbst aus einer dissoziierten Perspektive sehen können.
Sofern möglich, sollten mit dem Klienten der sagt „Ich kann nicht mehr“ Erholungs- und Entspannungstechniken und -strategien entwickelt werden. Oftmals reicht die Möglichkeit einen eigenen und ganz individuellen Rückzugsraum zu gestalten schon, um wieder Land zu sehen und etwas gelassener in die Zukunft blicken zu können.
Langfristige Ansätze um mit der Aussage „Ich kann nicht mehr“ umzugehen.
Angelehnt an einige therapeutische Methoden oder auch aus unterschiedlichsten Coachingkonzepten entwickelte Maßnahmen gibt es viele. Ich werde mich hier auf die drei meiner Ansicht nach effektivsten Werkzeuge beschränken.
1. Reframing aus dem NLP
Den Dingen einen neuen Rahmen zu geben kann ungemein entspannen. Beim Reframing wird der gedankliche Schritt gemacht, die Situation mit anderen Augen und aus einer anderen Perspektive zu sehen. Die Vorgehensweise bei dieser Methode ist sehr vielfältig. Hier beispielhaft diese Methode zu erklären würde den Rahmen sprengen.
2. Wir sind alle ein wenig multipel
Die Arbeit mit den inneren Persönlichkeitsanteilen ist die, aus meiner Sicht, wohl effektivste Methode um mit jemandem zu arbeiten der sagt „Ich kann nicht mehr“. Wir alle haben in uns mehrere „Persönlichkeiten“. Es gibt den Beschützer, der sehr vehement und teilweise sogar aggressiv gegen Verletzungen oder vermeintliche Verletzungen vorgeht. Es gibt den sanftmütigen, den wütenden und eben auch den sehr schwachen Persönlichkeitsanteil. Im Laufe meiner Arbeit sind mir unglaublich viele Persönlichkeitsanteile begegnet und es gibt keine Mindestanzahl oder ein Maximum, wenn es darum geht Anteile der eigenen Persönlichkeit kennenzulernen. Das Entscheidende ist, dass meine Klienten in dem Moment wo sie realisieren, dass sie nicht alles als eine Person zu verwalten haben, eine große Ruhe eintritt. Nach dem Motto: „aha, dann ist das dieser Anteil von mir der gerade sagt ‚Ich kann nicht mehr‘ und es gibt auf der anderen Seite auch noch starke Anteile in mir“.
3. Entspannung und Meditation. Atmen und das Leben im Jetzt.
Entspannungstechniken in allen möglichen Facetten. Meditation oder auch einfach nur das bewusste Atmen. All dies sorgt für Abstand. Abstand ist ganz besonders wichtig, wenn man nicht mehr kann. Sich die Zeit nehmen die man braucht und eine übergeordnete Perspektive gewinnen ist Ziel und Absicht zugleich. Das Leben im Jetzt und nicht in entweder einen unschönen Vergangenheit oder einer ungewissen Zukunft – sollte so oft wie möglich bewusst erlebt werden.
Der Weg um wieder zu können
Der Weg ist manchmal lang, meistens jedoch sehr kurz. Den Mut aufzubringen für bestimmte Themen und Menschen nicht mehr zur Verfügung zu stehen, ist sehr häufig eine wunderbare Lösung. Mut zu bekommen schaffen viele nicht alleine und sind auf Unterstützung angewiesen.
Eines ist ganz sicher: solche Krisen kennen wir alle und es hilft am meisten, wenn man sich den Abstand und die Ruhe erlaubt und wirklich konsequent den Weg geht, damit aus dem „Ich kann nicht mehr“ auf keinen Fall ein „ich will nicht mehr“ wird!